Archivalien vor den Vorhang

Auf dieser Seite präsentieren wir Ihnen ab Herbst 2025 besondere Archivalien aus den Beständen des NÖ Landesarchivs.

...mit dem Titel „Kurtz vnnd Einfeltigs Bedencken Joachimi Magdeburgii, von dem Jetzt fürlauffenden Streite, von dem wesen der Quelle aller Sünde in den Kindern Adam“ aus dem Jahr 1571.

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Die vielfältige und spannungsreiche Geschichte Niederösterreichs spiegelt sich in den Beständen des Ständischen Archivs des NÖ Landesarchivs. Unter diesen findet sich auch eine auf den ersten Blick unscheinbare Schrift mit dem Titel „Kurtz vnnd Einfeltigs Bedencken Joachimi Magdeburgii, von dem Jetzt fürlauffenden Streite, von dem wesen der Quelle aller Sünde in den Kindern Adam“ – ein theologisches Traktat des protestantischen Gelehrten Joachim Magdeburg (1525–1587). Magdeburg war führender Vertreter einer Gruppe flacianischer Theologen, die in den 1560er Jahren aus Thüringen und Sachsen nach Österreich einwanderten. Die Reformation hatte sich in Niederösterreich bereits ausgebreitet und die neue Lehre fand vor allem bei vielen Adelsfamilien großen Anklang. Der Bedarf des evangelischen Adels an gut ausgebildeten Predigern, die in Pfarren und in privaten Kapellen eingesetzt werden sollten, war zu dieser Zeit groß und so kam Magdeburg in die Dienste des kaiserlichen Feldherren Johann Rueber zu Pixendorf (1529–1584). Dieser engagierte ihn auch als Pfarrer auf in seiner Herrschaft Grafenwörth und immer wieder als Feldprediger. 

Die Schrift besteht aus drei Teilen: eine an den Olmützer Bürger Gregor Jungknitsch gerichtete Schrift, eine Auflistung der Fehlannahmen Magdeburgs theologischer Kontrahenten unter dem Titel „Irrthumb, wider welch diese meine schrifft fürnemlich gerichtet“ mit darauf bezugnehmenden Antworten und ein dritter Teil mit der Beantwortung zweier Fragen nach der Beschaffenheit der Sünde im menschlichen Wesen. Der erste Teil ist auf den 2. Jänner 1576 datiert und wurde von Magdeburg vermutlich in dem südmährischen Ort Pausram (tsch. Pouzdřany) verfasst. Der zweite Teil gibt eine 1571 von Magdeburg in Erfurt publizierte Streitschrift wieder. Der dritte Teil enthält keine Angaben zu Ort und Zeit der Abfassung, schließt dafür aber mit einem Zitat aus Matthäus 17, wonach ein böser Baum keine guten Früchte bringen kann. 

Magdeburgs Traktat ist typisch für die Theologen des Flacianismus, die ihre Überzeugungen oft in „katechismusartigen“ Schriften darlegten. Der Sündenfall, der auch in dieser Schrift diskutiert wird, war zentrales Streitthema der theologischen Auseinandersetzungen innerhalb des sich ausbreitenden Protestantismus. Auch der Adel war in diese Diskussionen involviert – ging es doch um den Versuch einer Vereinheitlichung des evangelischen Kirchenwesens in Niederösterreich und die Absicherung der freien Religionsausübung. Diesen Bemühungen standen Flacianer wie Joachim Magdeburg jedoch skeptisch gegenüber, da sie zu große Einmischung weltlicher Autoritäten in geistliche Angelegenheiten ablehnten. Wie Magdeburgs Schrift an die niederösterreichischen Stände gelangte, ist nicht mehr genau nachzuvollziehen. Auf jedenfall wurde sie aufmerksam gelesen – davon zeugen die zahlreichen Randnotizen, zum Teil auch auf Griechisch. 

Die Überlieferung des Traktats mit dem klingenden Untertitel „Auß dem Hertzen kommen arge gedancken“ (ein Zitat aus Matthäus 15, 19) im Ständischen Archiv des NÖ Landesarchivs zeigt die intensive Beschäftigung der evangelischen Stände Niederösterreichs mit diversen theologischen Strömungen des Protestantismus und den zeitweilig starken Einfluss flacianischer Gelehrter auf führende Ständevertreter. Der facettenreiche Prozess der Reformation in Niederösterreich im 16. Jahrhundert betraf die Ebene theologischer Auseinandersetzungen ebenso wie die Handlungsspielräume und Interessen breiter Bevölkerungsschichten – vom Adel bis hin zu den Angehörigen der Pfarrgemeinden. Die Bestände des NÖ Landesarchivs ermöglichen spannende und lehrreiche Einblicke in diese Zeiten.

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Letzte Änderung dieser Seite: 24.10.2025
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