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20.10.2016 | 08:00

Opferschutzkommission des Landes NÖ zieht Bilanz der Jahre 2010-2016

Entschädigungszahlungen in der Höhe von ca. 4,8 Millionen Euro ausbezahlt - ab 2017 neue Opferschutzstelle bei der NÖ Kinder- und Jugendanwaltschaft

Mit Stand Ende September 2016 haben sich bei der Opferschutzkommission des Landes Niederösterreich mehr als 500 Betroffene gemeldet. Insgesamt wurden in den letzten fünf Jahren Entschädigungszahlungen in der Höhe von rund 4,8 Millionen Euro für 367 Betroffene geleistet und therapeutische Hilfen im Gegenwert von mehr als 2,2 Millionen Euro zuerkannt. Die für die Opferschutzarbeit des Landes Niederösterreich eingesetzten Einrichtungen haben heute in St. Pölten Bilanz gezogen.

Nach Vorbild in erster Linie der Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft der Katholischen Kirche (Klasnic-Kommission) waren für Niederösterreich im November 2010 ein Opferschutzbeirat, unter Vorsitz des bekannten Kinder- und Jugendpsychiaters Prim. Dr. Paulus Hochgatterer, und eine Opferschutzkommission unter der Leitung des ehemaligen Präsidenten des Landesgerichtes St. Pölten, HR Dr. Kurt Leitzenberger, eingerichtet worden. Sie befassten sich mit Fällen von Betroffenen, die als Minderjährige während ihrer Unterbringung Opfer von Gewalt (teilweise auch sexueller Art) bei Pflegefamilien oder in stationären Einrichtungen bzw. Vertragsheimen des Landes Niederösterreich wurden.

Gründliche Aufarbeitung - eine Bilanz und ein Ausblick

Das Land Niederösterreich war sich damals seiner historischen Verantwortung gegenüber den Betroffenen sofort bewusst und hat umgehend die entsprechenden Schritte für eine gründliche Schadensaufarbeitung eingeleitet. „So wurde bei der NÖ Kinder- und Jugendanwaltschaft (NÖ kija) eine zentrale, anonyme, vertrauliche und kostenlose Erstanlaufstelle für die Betroffenen eingerichtet und im Konzept ‚Opferschutz NÖ‘ die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen allfälliger Entschädigungen und Hilfeleistungen definiert. Bei den Entschädigungszahlungen orientierte man sich an den Kriterien der Klasnic-Kommission. Entschädigungszahlungen gab es bis 25.000 Euro im Einzelfall, in extremen Härtefällen auch höhere", fasst der Koordinator der Opferschutzarbeit des Landes Niederösterreich, Hofrat Dr. Otto Huber, die Vorgehensweise und Ergebnisse der letzten Jahre zusammen.

Die „dunklen" Kapitel der Vergangenheit

Hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Darstellungen der Opfer entstand kaum jemals Zweifel. Erschütterndste Berichte von körperlichen Misshandlungen in Form von drakonischen Strafen, sexuellem Missbrauch und psychischen Demütigungen waren Inhalt der Schilderungen. In ihren Erinnerungen fühlten sich die Betroffenen schutzlos ausgeliefert, überwältigt und ohnmächtig. Viele haben sich auch gemeldet, damit nicht anderen Ähnliches angetan werden kann.

Dazu berichtet HR Dr. Kurt Leitzenberger, Leiter der NÖ Opferschutzkommission: „Obwohl mir in meiner fast 40-jährigen richterlichen Tätigkeit viele menschliche Grauslichkeiten begegnet sind, erzeugte meine Tätigkeit in der Opferschutzkommission eine tiefe Betroffenheit und Bestürzung. Es ist unglaublich, wozu Menschen fähig sind! Anstatt den Kindern, die Kraft verschiedenster Umstände schon bisher nicht auf der Sonnenseite des Lebens standen, eine motivierende Hilfestellung zu geben, gab es sehr oft weitere negative Beeinflussungen. Hier wurde die Menschenwürde, die natürlich auch Kindern und Jugendlichen zukommt, mit Füßen getreten. Kinder und Jugendliche, die eine Förderung, Wärme, Zuneigung und Liebe benötigt hätten, mussten ein Leben in Angst und Verunsicherung führen. Der Vollständigkeit halber muss aber auch festgehalten werden, dass von den Opfern immer wieder auch Betreuerinnen und Betreuer genannt wurden, die sich vorbildlich verhalten haben."

Aus Fehlern der Vergangenheit für die Zukunft lernen

Aus Fehlern der Vergangenheit gelte es für die Zukunft zu lernen. Dazu  Prim. Dr. Paulus Hochgatterer, Kinder- und Jugendpsychiater, Autor und Vorsitzender des Opferschutzbeirats: „Die Schwere und Nachhaltigkeit der erfolgten psychischen Traumatisierungen bildete sich unter anderem darin ab, dass bei einem Großteil der Opfer eine Psychotherapieempfehlung ausgesprochen wurde. Trotz der uns alle sehr belastenden Schilderungen der Opfer waren die Sitzungen durch eine hohe Professionalität und gegenseitige Wertschätzung gekennzeichnet. Beeindruckt hat mich auch die Sensibilität im Umgang mit den Opfern heute in der Bearbeitung und für die Zeit, die man sich für die persönlichen Gespräche genommen hat. Vor allem letzteres ist unabhängig von den Entschädigungen und zugesprochenen Therapien von größter Wichtigkeit."

Ende der Frist für Entschädigungen zu Jahresende 2016 -

Ab 2017 neue Opferschutzstelle bei der NÖ Kinder- und Jugendanwaltschaft

Noch bis zum 31. Dezember 2016 können sich Betroffene bei der Erstanlaufstelle, der NÖ Kinder- und Jugendanwaltschaft, melden. Die Prüfung und Bearbeitung durch Kommission und Beirat erfolgt dann im Jahr 2017.

Das Land Niederösterreich ist sich aber auch weiterhin seiner Verantwortung bewusst und etabliert mit Jahresbeginn 2017 eine neue, eigenständige und ständige Opferschutzstelle bei der NÖ Kinder- und Jugendanwaltschaft.

Betroffene, die sich ab 1. Jänner 2017 melden, erhalten hier auch weiterhin eine fundierte Begleitung und notwendige weiterführende Hilfe bei der Aufarbeitung „ihrer Geschichte". Falls erforderlich und gewünscht, werden auch Therapie, anlassbezogene Begleitung und notwendige weiterführende Hilfen angeboten. Zuständig dafür wird Mag. Christine Hansi, klinische Psychologin, sein. Sie wird sich direkt und ausschließlich um die Anliegen der Opfer kümmern und von externen Psychologinnen und Psychologen unterstützt werden.

Die Kinder- und Jugendanwältin des Landes Niederösterreich, Mag. Gabriela Peterschofsky-Orange, hält dazu fest: „Die NÖ Kinder- und Jugendanwaltschaft war bereits von Beginn an Erstanlaufstelle und hat intensiv im Beirat mitgearbeitet, da die Wünsche und Erfahrungen der Opfer bei Kindern und Jugendlichen, die heute außerhalb ihrer Familie aufwachsen, berücksichtigt werden müssen und ebenso in den nun Sozialpädagogischen Einrichtungen. Wir sind sehr froh über die Unterstützung durch Mag. Christine Hansi, da sie bereits in den vergangenen sechs Jahren maßgeblich in die Opferschutzarbeit des Landes involviert war, und mit hoher fachlicher Kompetenz und Professionalität aber auch notwendiger Sensibilität und Empathie die Betroffenen begleitet und beraten hat."

Kontaktdaten und Telefonnummer: Neue Opferschutzstelle bei der NÖ Kinder & Jugendanwaltschaft (NÖ kija): Tel. 02742/90811, e-mail: post.kija@noel.gv.at, http://www.kija-noe.gv.at/

Die wissenschaftliche Aufarbeitung

Heute - Klima der Offenheit und Transparenz

Zur wissenschaftlichen Aufarbeitung wurde im Jahr 2012 vom Land Niederösterreich ein Forschungsprojekt „Psychotraumatologische Fragestellungen zu sexuellem Missbrauch und Gewalt in Einrichtungen des Landes Niederösterreich" bei der Fakultät für Psychologie der Universität Wien an Ass.-Prof. in Dr. Brigitte Lueger-Schuster in Auftrag gegeben.

Die forschungsleitende Frage galt dem Zusammenhang zwischen der erlittenen Tat (Traumatisierung) und den in den Dokumenten der Opfer sowie den festgestellten psychischen Folgen. Die Ergebnisse und Empfehlungen wurden am 22. Mai 2013 in einem Projektbericht veröffentlicht (unter http://ppcms.univie.ac.at/idex.php?id=3120 abrufbar).

„Wir wollen uns bei unserer zukünftigen Arbeit nicht ‚zurücklehnen‘, sondern spüren die Verpflichtung als lernende Organisation, ob groß oder klein, ständig an einer Verbesserung und Weiterentwicklung zu arbeiten. Vor allem die Kernbotschaft der Empfehlungen aus dem Forschungsprojekt der Universität Wien, soll uns in der institutionellen Kinder- und Jugendbetreuung immer dazu anleiten, ein Klima von Offenheit und Transparenz zu schaffen, nämlich: Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter soll ein safe-guard gegen Missbrauch und Ausbeutung einer verletzlichen Gruppe von Menschen sein", so Dr. Otto Huber abschließend.

Nähere Informationen: Gruppe Gesundheit und Soziales, Leiter Dr. Otto Huber, Opferschutzkoordination, Telefon 02742/9005-16378, e-mail otto.huber@noel.gv.at

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