28.12.2001 | 00:00

Seit 80 Jahren selbstständige Bundesländer:

„Einvernehmliche Scheidung“ zwischen NÖ und Wien

Seit 80 Jahren sind Niederösterreich und Wien selbstständige Bundesländer: Am 29. Dezember 1921 beschlossen der Landtag von Niederösterreich-Land und der Wiener Gemeinderat das sogenannte „Trennungsgesetz“, damit wurden mit Jahresbeginn 1922 aus dem einstigen Erzherzogtum Österreich unter der Enns die beiden selbstständigen Bundesländer Niederösterreich und Wien. Es war eine „einvernehmliche Scheidung“, der allerdings lange und schwierige Verhandlungen vorausgegangen waren. Noch in der Silvesternacht 1921/22 wurden im Wiener Rathaus die letzten Gespräche geführt – bei Wein und Bauernbrot, die der spätere Landeshauptmann Johann Mayer, ein Bauer aus Bockfließ mitgebracht hatte, wie Oskar Helmer in seinen Lebenserinnerungen festhielt. Es ging dabei vor allem um die Zukunft der defizitären Landesbahnen, die schließlich vom Eisenbahnministerium übernommen wurden, und des NÖ Landhauses in der Wiener Herrengasse.

Sicher spielten bei der Trennung auch parteipolitische Erwägungen der niederösterreichischen Christlichsozialen und der Wiener Sozialdemokraten eine Rolle. Es war aber auch nicht zu übersehen, dass man sich „auseinander gelebt“ hatte, dass die Probleme der Großstadt und des agrarisch geprägten Landes zu unterschiedlich waren. Vor allem aber war ein staatspolitischer Aspekt entscheidend. Mit der Bundesverfassung 1920 hatte sich das klein gewordene Österreich für den Föderalismus entschieden und ein Land mit mehr als der Hälfte der österreichischen Bevölkerung, das die anderen jederzeit majorisieren hätte können, war für die westlichen Bundesländer nicht akzeptabel. Die Trennung war somit eine „sachliche Notwendigkeit“, wie es Dr. Karl Renner formulierte.

Bereits 1920 wurden die Weichen gestellt, und zwar nach dem Muster der Schweizer Halb-Kantone. Es gab zwei gesetzgebende Körperschaften, den Landtag von Niederösterreich-Land und den Wiener Gemeinderat, die in jenen Angelegenheiten, die von der „gemeinsamen Landesverfassung“ als nach wie vor gemeinsam deklariert waren, zu gemeinsamen Sitzungen zusammentraten. Analog zu diesen „Kurien“ wurde für Niederösterreich-Land eine eigene Regierung gebildet, die gleiche Funktion hatten für Wien der Bürgermeister und der Stadtsenat. Gleichzeitig bestand die gemeinsame Landesregierung weiter. Gemeinsame Angelegenheiten waren unter anderem die Fürsorge- und Krankeninstitutionen, die Landeshypothekenanstalt und die Landeseisenbahnen. Der Weg ging aber klar in Richtung auf die vollständige Trennung, sie wurde vor 80 Jahren vollzogen. Damit begann gleichzeitig auch die Diskussion um die eigene niederösterreichische Landeshauptstadt, eine Frage, die erst in den neunziger Jahren gelöst wurde.


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